Bildungspolitik

Schweinezyklus

Bildungsoffensive - klingt ja klasse.
Ein Teil davon ist ja auch klasse: Die Einstellungsprozedur in Baden-Württemberg wird vorgezogen, sodass nicht mehr Rheinland-Pfalz und Hessen uns die besten Leute abziehen, alleine schon weil ihre Sommerferien früher beginnen und sie damit auch schon ihre Einstellungszusagen ein paar Wochen vor den Entscheidungen unserer Bürokratiemühlen in der Post hatten. Es ist schon verwunderlich, dass es für so eine einfache und für alle wachen Beobachter seit Jahren überfällige Maßnahme eines Machtwortes des Ministerpräsidenten persönlich bedurfte.
Klasse ist eigentlich auch, dass wieder im großen Stil eingestellt wird, endlich. Aber die Art, wie dies geschieht, treibt einem mal wieder die bildungspolitischen Tränen in die Augen. Es ist jetzt schon abzusehen, dass sich die Fehler der letzten 20 Jahre in den nächsten 5 Jahren wiederholen werden:
Jetzt wird jeder genommen, sofern er nur das Examen so gerade eben bestanden und auch in der Gesundheitsprüfung für Beamte nicht versagt hat. Und das nur, damit niemand im jetzt anstehenden Wahlkampf dem Ministerpäsidenten Oettinger vorwerfen kann, er habe zu wenig unternommen. Den Vorwurf der Opposition: „Was haben Sie denn für Luschen eingestellt!“ wird er leicht abtun - leichter jedenfalls als den Vorwurf, dass er nicht alles, was möglich war, unternommen habe, um die freien Stellen zu besetzen. Denn es ist jetzt schon abzusehen, dass die Einstellungsmenge selbst inclusive der Luschen nicht ausreichen wird. Klar, wenn man jahrelang wider besseres Wissen keinen eingestellt hat, nicht mal die Besten eines Jahrgangs! In meinem Jahrzehnt fehlen die Kräfte an den Schulen. Wir haben massenweise Leute in den 50ern und wieder viele in den 30ern. Die 40er-Jahrgänge sind dünn. Ich wurde damals als einer der wenigen eingestellt - über das Erzbistum Freiburg, nicht über den Staat, denn der musste ja sparen.
Und wieder passiert der gleiche Fehler wie in den 80er Jahren: Leute, die nie wirklich Lehrer werden wollten, besetzen auf Dauer Stellen. Darunter werden die Schüler leiden, die Schulen, nicht zuletzt auch das Lehrerimage - aber auch diese Lehrer selbst! Denn an ein paar meiner Kollegen, die in den 70er/80er Jahren unter ähnlichen Bedingungen einstiegen, kann ich schon das Schicksal einiger dieser zukünftigen Lehrer erkennen: unzufriedene, mürrische, kinderhassende Langeweiler.
Und wetten: Nach 2012 ist Schluss mit Einstellung. Vielleicht sogar schon früher: 2010, nach der Wahl. Dann wird wieder zehn Jahre lang keiner mehr eingestellt, nicht mal die Besten eines Jahrgangs.
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Bueb II

Nach dem ‚Lob der Disziplin‘, das ich damals mit großer Genugtuung gelesen habe, hat Bernhard Bueb, ehemals Schulleiter in Schloss Salem, ein neues Buch über Schule geschrieben und seine Ideen im Spiegel-Interview erläutert. Wieder muss ich zugeben, dass ich sehr beeindruckt bin und den überwiegenden Teil seiner Äußerungen spontan unterschreiben würde. Offensichtlich geht es im Wesentlichen um zwei Thesen:
  • Wir bräuchten eine Ganztagsschule mit ganzheitlicher Erfahrung, in der die Lehrer morgens Deutsch lehren und nachmittags mit denselben Schülern kicken oder Drachen basteln.
  • Schulleiter sollten weniger verwalten müssen, sondern sich mehr um ihre Lehrer kümmern können. Personalgespräche, Zielvereinbarungen, konkrete Stärkung und Stützung. Sie sollten ihre Lehrer gut führen, damit die ihre Schüler gut führen können. ‚Faule Säcke’ müssen zur Not weggeekelt werden.
Wie schon beim Lob der Disziplin wird aber die Streitschrift spalten. Damals hat mich auch geärgert, dass das Buch offensichtlich schon wegen des Titels kritisiert wurde: Wir bräuchten nicht mehr Disziplin, sondern mehr Liebe. Hätten die Kritiker das Buch (gründlicher) gelesen, wäre ihnen klar, dass diese Pseudo-Gegenthese Buebs Ideen gar nicht trifft, weil er immer die Liebe zum Kind als die Grundlage allen pädagogischen Handelns beschreibt.
So wird auch jetzt schon kritisiert, dass Bueb seine Forderung nicht als ‚Management‘ bezeichnet, sondern den alten, von den Nazis missbrauchten Begriff ‚Führung‘ verwendet. - Nun ja, wenn es keine besseren Argumente gegen Bueb gibt, dann wird er wohl Recht haben mit seinem Ansatz. Die Kultusminister sollten sich mal ins Zeug legen.
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Frikadellen-Taktik

Wir müssen wie jedes Gymnasium im nächsten Jahr eine Hausaufgabenbetreuung einrichten, Erlass des Kultusministers. Dafür werden wir großzügig unterstützt mit 5,3 Mio Euro. Das klingt großartig, aber heruntergebrochen auf jede Schule und jeden Schultag bedeuten das ca. 20 Euro, hat mal ein kluger Mensch ausgerechnet. Dafür kann man gerade mal einem ehrenamtlichen Helfer die Unkosten ersetzen.
Aber zu dieser lächerlichen Summe kamen ja auch noch weitere Vergünstigungen in Form von 5 Deputatsstunden dazu. Pro Schule, wohlgemerkt, Also könnte man neben dem ehrenamtlichen Helfer auch noch einen Lehrer pro Tag setzen. Könnte, wäre da nicht noch die Präzisierung nachgekommen. Denn nachdem viele Schulleiter nachgefragt hatten, wie sie denn an die 5 Stunden kämen, schob das Ministerium nach: Die seien bereits ‚durch Entsperrung von Stellen‘ in der diesjährigen Lehrerzuweisung enthalten. Übersetzung, so wie ich das Beamtendeutsch verstehe: Man habe angeblich mehr Lehrer eingestellt als ursprünglich geplant, da sind die 5 Hausaufgabenbetreuungsstunden dann mit drin.
Mich erinnert das an den üblen, alten Witz: Kommt ein Mann in die Frittenbude und bestellt eine Frikadelle mit Brötchen. Er bekommt eine Frikadelle serviert, ohne Brötchen. Auf seine Beschwerde, wo das Brötchen sei, sagt der Mann hinter der Theke: „Ist schon drin.“ - „ Ich wollte aber ein Extra Brötchen dazu!“ - Antwort: „Ist auch schon drin.“
So wird hier Schulpolitik gemacht. Daran, dass wie großartig angekündigt, der Klassenteiler mit viel Geld auf 28 gesenkt werden soll (immer noch zu hoch!), glaube ich erst, wenn es Tatsache ist.
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Lehrerzimmer


Meine Lektüre gerade: Markus Orths, Lehrerzimmer. Ein ehemaliger Lehrer (wer das Buch gelesen hat, versteht, warum) beschreibt in einem satirischen Roman die Erlebnisse eines jungen Assessors. An der Schule herrscht das Schreckensregime eines Direktors. Natürlich ist das ALLES übertrieben! Hmm, aber nicht sehr... Winking Ich habe schon mehrere Schulen durchlaufen - vier, um genau zu sein, ohne die beiden Ausbildungsschulen der Referendariatsszeit mit zu zählen. Und tatsächlich erkenne ich zwei meiner Direktoren in Ansätzen hier getroffen. Das ist eigentlich eine erschreckende Bilanz...
Ein Kollege, den ich gestern auf einer Tagung kennen lernte, tut mir allerdings noch mehr Leid. Er sprach mich an, als er das Buch bei mir sah. Denn offensichtlich handelt es sich sogar um eine Art Schlüsselroman. Und der dem Buch zu Grunde liegende Schulleiter, so erzählte der Kollege, werde nächstes Jahr als Direktor an ihre Schule kommen. Zur Zeit leite er eine Auslandsschule, und solche Versetzungen aus dem Ausland zurück nach Deutschland verliefen ohne die sonst vorgeschriebene Beteiligung des Schulträgers und der Schulkonferenz. Ich kann gut verstehen, dass das Kollegium in Sorge ist.
Meine Laune jedoch hebt das Buch. Wenn man sich mal über die Schulleitung ärgert, wenn etwas nicht optimal läuft, reichen ein paar Seiten Lektüre, um zu erkennen, wie gut man es doch eigentlich hat.
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Spickmich

Im Lehrerzimmer hing am schwarzen Brett ein Ausriss aus der RNZ über eine Internetseite, wo Schüler ihre Lehrer bewerten können (wird hier absichtlich nicht verlinkt).
Als Rechtfertigung für die Seite haben die Macher im RNZ-Interview geäußert, dass Lehrer, die ja ständig ihre Schüler bewerten, sich auch gefallen lassen müssen, bewertet zu werden. Nun, das stimmt. Ich bin auch der Meinung, dass wir unsere Arbeit evaluieren lassen müssen. Ich selbst lasse meine Schüler regelmäßig Umfragen über meinen Unterricht ausfüllen und ich muss mir auch gefallen lassen, dass der Schulleiter und die Schulbehörde mich beurteilen.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen diesen Beurteilungen und sogar den Klassenarbeitsnoten auf der einen und diesem Internetportal auf der anderen Seite: Öffentlichkeit! Die Klassenarbeits- oder Zeugnisnoten werden nicht mal in der Klasse ausposaunt. Jeder Schüler entscheidet selbst, wem er die Note sagt. Und sogar wenn ich mündliche Noten ausnahmsweise mal verbal und nicht schriftlich ausgebe, frage ich jeden Schüler, ob ich das vor der versammelten Klasse sagen darf.
Man stelle sich jetzt mal vor, ein Lehrer käme auf die Idee, die Klassenarbeitsnoten seiner Schüler im Internet zu veröffentlichen. Unmöglich? Unverschämt? Genau.
Ich verlange also als Lehrer nichts anderes als die Schüler: Ich möchte Einfluss darauf haben, wer die Urteile über meine Arbeit sehen darf.
Zusammen mit anderen Kollegen habe ich mich auf der Seite mal mit meinem richtigen Namen und der Klasse, in der ich Klassenlehrer bin, angemeldet.

UPDATE: Inzwischen ist der erste Lehrer unserer Schule 'geratet' worden. Bis dato reichte die Anzahl der abgegebenen Stimmen nicht aus. Nun, wenn ich sehe, wieviele Schüler angemeldet sind, wenn ich die darunter befindlichen Lehrer abziehe und überlege, wie viele der Schüler den Kollegen haben, hatten oder nur gut genug kennen, wenn ich dann hochrechne auf die verwertbaren Stimmen, so ist die m.E. immer noch zu niedrig für ein belastbares Voting.
Aber gut: Herr Müller-Praefcke hat, völlig zu Recht!, eine sehr gute Note bekommen. Die Macher behaupten übrigens auf ihrer Seite, dass immer die schlechten Lehrer gegen ihre Website protestieren. Der Kollege erwägt aber auch, gegen die Veröffentlichung vorzugehen. Ich bin gespannt auf die Reaktion.
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Schul-Blogs

Ich habe ja lange überlegt, ob ich hier in mein privates Familien-Web-Tagebuch auch Schulthemen einstellen soll. Zumal ja auch erwiesenermaßen ein paar Schüler mitlesen. Das sind nicht viele, aber dennoch ist die Sache öffentlich.
Ich habe mich dann entschlossen, ab und zu auch mal allgemeine Gedanken über Schule und ausgewählte Ereignisse aus meiner Schule, verantwortungsvoll anonymisiert, zu bloggen. Dies gehört einfach zu den Dingen, die mich intensiv beschäftigen, und daher fühlte ich den Drang, mich auch hier dazu zu äußern.
Und inzwischen konnte ich feststellen, dass es neben Shopbloggern, Elektronikladenbloggern und Buchhandelsbloggern auch noch weitere Lehrerblogger gibt, die z.T. wirklich interessante Sachen zu berichten haben.
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