Respekt II

Im Kollegium wird derzeit heiß diskutiert: Boykottieren wir den Abiball?
Die Internetseite des Abijahrgangs, die eigentlich passwortgeschützt sein sollte, ist durch einen Programmierfehler öffentlich geworden.

(Übrigens hat man mir mal hier im Blog in den Kommentaren das Recht absprechen wollen, eine Internetseite zu betreiben, weil ich kein html beherrschte. Arroganz kommt vor dem Fall: Der Kritiker ist einer der Administratoren der o.g. Seite.)
Dort wurden einige Kollegen ganz massiv mit Schimpfwörtern aus der untersten Schublade bedacht. Juristisch ist das vermutlich irrelevant, denn der Schreiber konnte sich in einem passwortgeschützten Raum wähnen, der als privat gilt. Abgesehen davon, dass diese juristischen Kategorien von privatem und öffentlichem Raum im Zeitalter von Chats und Internetforen sowieso sehr fragwürdig geworden sind, bleibt die zwischenmenschliche Kategorie: Wie gehen wir damit um, dass Schüler einige Kollegen so behandeln? Wie damit, dass offensichtlich niemand dort an Ort und Stelle widersprochen und sich distanziert hat? Wie damit, dass in der Schüler-Abiturrede auch kein Wort der Entschuldigung und Distanzierung der Stufe fiel? Wie damit, dass einige Eltern bei der Abifeier wohl auch alleine die Erwähnung der Beleidigungen in der Eröffnungsrede des Schulleiters unangebracht fanden?
Wieviel muss man sich als Lehrer bieten lassen?
An einem der Gedanken aus der Diskussion im Kollegium überlege ich derzeit weiter: Wie würden dieselben Schüler in einem Jahr z.B. bei einer Banklehre oder Berufsakademie-Ausbildung über ihren Chef reden und schreiben? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass dort jemand seinen Chef in einem Forum, und sei es noch so ssl- und passwortverschlüsselt, einen ‚Wichser‘ oder seine Chefin eine ‚Fotze‘ nennen würde. Ich muss ganz ehrlich sagen: Auch wenn das nicht hundertprozentig vergleichbar ist, sehe ich mich doch irgendwo als ‚Chef‘ meiner Schüler. Die Position und Amtsautorität eines Lehrers alleine schon fordert mindestens äußerlich Respekt.
Ich habe auch das Gefühl, dass wir ein Zeichen setzen sollten und signalisieren: „Wir lassen nicht alles mit uns machen. Wir wollen nicht feiern mit Leuten, die jemanden von uns massiv beleidigen, und auch nicht mit solchen, die sich davon nicht distanzieren.“ Eine halbherzige Entschuldigung jetzt im Nachhinein wäre mir persönlich auch zu wenig, denn sicher werden sich die Netteren der Stufe nun regen. Aber einzig akzeptabel fände ich die Teilnahme am Abiball, wenn sich Leute aus der Stufe hinstellen und sagen: „Wir waren’s, es tut uns Leid. Wir wollen den anderen nicht den Spaß noch mehr verderben, daher kommen
wir nicht zum Abiball.“
Irgendwie glaube ich aber nicht, dass das passieren wird.

PS: Ich merke gerade, dass ich
schon an anderer Stelle und von einer anderen Seite her auf dieses Thema gestoßen bin. Daher habe ich die Überschrift geändert.

Update: Die Abstimmung verlief enttäuschend. Wir werden nicht komplett solidarisch boykottieren, sondern einige Kollegen sollen zum Ball gehen und dort erklären, warum die anderen nicht kommen. Die oben vorgestellte Idee, dass die Abiturienten unter einander dafür sorgen, dass sich die Übeltäter melden und entschuldigen oder aber fernbleiben, wurde von vielen Kollegen sehr gelobt (v.a. hinterher), aber es fand sich keine Mehrheit.
Man muss der Jahrgangsstufe zugute halten, dass der Abischerz ok war und sich auch in der Abizeitung (bis auf eine ärgerliche Ausnahme) keine Schmähungen finden. Dennoch - ich hätte mir als Zeichen auch für spätere Jahrgänge ein deutlicheres Signal erhofft. Einige Kollegen, die arg beschimpft worden waren, sind vom Mangel an Solidarität sehr enttäuscht.