Herr Büker, bitte melden!

Der Vorstellungsabend gestern war tatsächlich ein spannendes Ereignis und in mehrerer Hinsicht überraschend.
Der scheidende Bürgermeister Merklinger fühlte sich genötigt, Herrn
Büker aus Herford zweimal auszurufen und auf den leeren Platz auf das Podium zu bitten. Ihm war vermutlich selber die Aussichtslosigkeit dieser Bemühung klar, aber man will ja keinen Formfehler begehen. Vielleicht sind die Hürden einer Kandidatur zu niedrig, und jemand hat sich den alten Traum erfüllt, einmal irgendwo Bürgermeisterkandidat gewesen zu sein. Jedenfalls tauchte der Mann nicht auf. Ich bin gespannt, wie hoch seine Stimmenzahl wird. Es gibt bestimmt ein paar Wähler, die ihre Stimme für einen Witz wegschmeißen.
Die Elefantenrunde war auch ohne ihn spannend, aber ein richtig klares Ergebnis kam nicht heraus. Nun ist also die Zeit der Deutung: Wer hat mehr als die anderen gewonnen oder verloren?
Ich möchte meine Betrachtung aufteilen: Vor meine eigene Meinung möchte ich gerne Mutmaßungen über die gefühlte Wahrnehmung des Publikums stellen. Daran anschließend kann man dann eine Prognose wagen.

Die Stimmungslage
Immerhin war gestern ein guter Teil der 10.500 Walldorfer Wahlberechtigten anwesend, so dass man aus der Publikumsreaktion gewisse Schlüsse auf den Wahlausgang ziehen kann.
Die schönste Überraschung war für mich die Gesamtstimmung in Walldorf, die ich im Vorfeld wohl falsch eingeschätzt habe. Ein Beispiel: Als gleich als erste Bürgermeldung in der Fragerunde ein seltsamer Mensch die schon berüchtigte Mutter-und-Bürgermeister-geht-das-Frage an Frau Staab richtete, ging ein Raunen durch das Publikum - und zwar ein ablehnendes! Ich freue mich sehr, dass dieses Argument offenbar doch bei dem größeren Teil der Walldorfer keine Rolle spielt.
Überhaupt scheint Herrn
Weisbrods Heimvorteil gar keiner zu sein. Er versprach ausdrücklich, hoch und heilig vor großem Publikum, dass der alte, streitbare Grünen-Fraktionsvorsitzende Geschichte sei. Allein, das Publikum glaubte ihm nicht wirklich. Er machte seine Sache während des Abends gar nicht schlecht, aber mit seiner Schlussrede machte er wieder vieles zunichte. Darin entwarf er auf durchaus amüsante Weise eine Vision von Walldorf in 8 Jahren - aber das werden die meisten als grünes Horrorszenario wahrgenommen haben mit Bürgerversammlungen, Autoverzicht und einem zum Kaufparadies umgebauten Parkhaus. Auch wenn ich inhaltlich sogar seine Vision gut finde (bin schließlich ein bekennender Freiburg-Fan und bewundere speziell die Idee hinter dem Vauban-Viertel), passt das so garantiert nicht zu Walldorf. Herr Weisbrod kann nicht mehr Menschen mobilisieren als seine ohnehin vorhandene Walldorfer-Grünen-Basis. Die ist aber zu klein. Ich wage die Voraussage: Weisbrod schafft es nicht einmal in die Stichwahl.
Der andere ‚Lokalmatador‘ geht ebenfalls unter. Herr
Körber war zwar keine Lachnummer wie der abwesende Büker, aber er geriet zumindest zur ‚Griemelnummer‘. Handfest, nicht unsympathisch, aber etwas desinformiert und keinesfalls bürgermeisterabel. Auch er wollte sich ganz offensichtlich den Traum erfüllen, einmal Bürgermeisterkandidat gewesen zu sein.

Aber es scheint überhaupt sogar viele zu geben, die der Meinung sind, dass ein Ortsfremder her müsse.
Dennoch: Eins runter mit Herrn
Scheerer. Seine Art kann nur ankommen bei Bürgern, die sich einen gewohnten Stadtvater in etwas jünger wünschen: Bürgermeister alten Schlages, einer von „dort oben“, der „das schon machen“ wird. Er verkaufte sich gar nicht schlecht, aber das Publikum reagierte reserviert. Man spürt heraus, dass die selbstbewussten Walldorfer nicht ganz einsehen, einen amtierenden Bürgermeister, der sein altes Amt aufgibt, zu belohnen.
Aber eins rauf mit Herrn
Bubel. Der Mann konnte zumindest in der Frage-Runde wirklich punkten gegenüber seinem Konkurrenten Scheerer. Er wirkte in allen Punkten souverän: kenntnisreich, entschieden, wo möglich, und dennoch freundlich. Das kam gut an.
Genauso gut wie Frau
Staab. Ganz offensichtlich hat ihr engagierter Wahlkampf (150km zu Fuß durch die Stadt) die Leute beeindruckt. Mir war nicht klar, dass sie auf einer Welle der Sympathie reitet. Dieses Ansehen hat sie in der Anhörung zwar nicht weiter vermehren können, aber sie hat es gehalten.

Mein persönliches Fazit
Inhaltlich gab es kaum Differenzen zwischen den Kandidaten, und wo doch, konnte mal der eine, mal der andere überzeugen. Am meisten haben mich seltsamerweise die Argumente und Ideen von Herrn Scheerer überzeugt. Er hatte durchaus gute Ansätze und sprach mitunter klareren Text als andere. So sagte er z.B. zur Einkaufssituation hier in Walldorf: „Wir erleben die Amerikanisierung unserer Innenstädte.“ Auf deutsch: Der Kampf ist verloren. Und wer etwas anderes sagt, traut sich nicht, dem Wahlvolk die Wahrheit zuzumuten: Wir Walldorfer sollten froh sein, wenn es gelingt, die Wieslocher Innenstadt als nahegelegene Einkaufsgegend zu erhalten. Was dort nicht zu bekommen ist, muss man sowieso in Mannheim kaufen oder gleich bei Amazon. Das ist Fakt und durch Lokalpolitik nicht zu ändern, denn wenn die Leute nicht kaufen, nützen auch subventionierte Ladenlokale auf Dauer nichts. Mit demselben Anspruch wie eine belebte Ladenmeile in der Hauptstraße könnte ein Bürgermeisterkandidat einen wunderschönen Sommer im nächsten Jahr versprechen. (Zur Ergänzung: Weisbrod sprach sich für Subventionen aus, Staab und Bubel äußerten so vage wie möglich ihre Ratlosigkeit.)
Herr
Scheerer sagte noch mehr kluge Dinge. Nur: Er ist der falsche. Ich mag diesen Politikertyp nicht, den er verkörpert, und ich vertraue ihm nicht. Da kann er noch so sehr die richtigen Argumente bringen.
Über Herrn
Weisbrod habe ich mich ja schon klar geäußert. Der Abend hat meine Eindrücke nicht verändert. Er wird polarisieren, und wenn er sich noch so sehr um Verbindlichkeit bemüht. Das sitzt zu tief drin.
Frau
Staab war gut. Wirklich ok, aber nicht mehr. Sie blieb unter ihren Möglichkeiten. Nun, hohe Erwartungen sind ja auch schwer zu toppen. Ich führe das darauf zurück: Der Wahlkampf geht schon so lange, und man gewöhnt sich an so vieles. Als wir Frau Staab seinerzeit einluden, gingen wir sogar davon aus, sie sei ein Underdog. Das hat sich geändert: Sie ist weiterhin eine beeindruckende Persönlichkeit, aber jetzt in der Favoritenrolle.
Inhaltlich war sie aber natürlich sehr zurückhaltend, wurde nur ganz selten konkret. Sie möchte wohl so wenige Wähler wie möglich verprellen, und man muss ihr schon vertrauen und zutrauen, dass sie außer dem ‚Everybody’s Darling‘ auch noch andere Facetten wird anbieten können. Am besten fand ich ihre Äußerung zur Metropolregion Rhein-Neckar, weil sie darin den europäischen Maßstab sieht: Diese Regionen wollen starke Gemeinschaften innerhalb der europäischen Union sein. Alle anderen Kandidaten, v.a. Weisbrod und Scheerer haben vorwiegend die Walldorfer Innen- und bestenfalls die Regionalpolitik in Bezug auf Wiesloch vor Augen; Frau Staab denkt in größeren Maßstäben. Das kann Walldorf voranbringen.
Der neue Underdog ist Herr
Bubel. Er saß nicht nur auf dem Podium genau zwischen Frau Staab und Herrn Scheerer. Denn er verbindet am ehesten die Freundlichkeit der einen mit der Klarheit des anderen. Nur leider: Trotz aller Bemühungen in seiner Vorstellungsrede, Stärke und Entschlossenheit zu zeigen, kann man sich schwerlich vorstellen, dass ein Bürgermeister Bubel sich gegen den über Gebühr selbstbewussten Walldorfer Verwaltungsapparat und den mitunter nicht ganz offen agierenden Stadtratsfraktionen wird durchsetzen können.
Ich denke trotzdem: Er ist der neue Außenseiter, der als solcher Chancen gegen die Favoritin Staab hat.

Die Prognose
So sehe ich die Chancen auf das Bürgermeisteramt nach der Stichwahl am 19.12.: Staab 70%, Bubel 20%, Scheerer 10%, Weisbrod und Körber 0%.
UPDATE:
Auf der Homepage der Stadt sind aktuell die Vorstellung- und Schlussvorträge der Kandidaten auf Video zu sehen.